Der Bischof von Arabien

Paul Hinder im Bischofshaus in Abu Dhabi

 

DER WEG ZUM BISCHOF

«Ich könnte hier nicht leben und wollte es auch gar nicht. Zu heiss, zu staubig und vielleicht auch zu fremd. Zu viel Sand, zu viel Beton, zu wenig Grün und zu wenig Natur. Das ist nicht mein Platz, spüre ich. Meine ich zu spüren.» Diese Worte schreibt Paul Hinder in seinem Buch «Als Bischof in Arabien – Erfahrungen mit dem Islam» über seinen ersten Besuch in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Heute ist der Schweizer der Bischof von Arabien.

Sonnenuntergang bei Abu Dhabi, VAE

Aber wie kam es dazu, dass ein Schweizer, der im kleinen Dorf Stehrenberg im Thurgau aufgewachsen ist, Bischof von Arabien wurde? Nun, das ist eine lange Geschichte. Paul Hinder lebte und arbeitete nach dem Theologie Studium und der Priesterweihe in diversen Kapuzinerklöstern in der Schweiz und war anschliessend in der Ordensleitung in Rom und im Generalrat tätig. Man wusste, dass bald die Wahl eines Nachfolgers des aktuellen Bischofs von Arabien, Pater Gremoli, stattfinden musste. Traditionsgemäss ist der Bischof von Arabien ein Kapuziner. So war es die Aufgabe des Generalrates eine Liste mit drei Vorschlägen zu erstellen und einzuschicken. Auch Paul Hinder wurde von seinen Mitbrüdern gefragt, ob er es sich nicht auch schon überlegt habe, dieses Amt zu übernehmen. Er verneinte diese Fragen immer sofort, obwohl er wusste, dass er aus verschiedenen Gründen perfekt für diese Aufgabe geeignet wäre. Währenddem sie noch auf den Bescheid warteten, ob einer der Vorschläge angenommen wurde, reiste Hinder nach Abu Dhabi. Dort wurden verschiedene Bemerkungen fallen gelassen, die darauf hindeuteten, dass er möglicherweise zum nächsten Bischof gewählt werden würde. Sein Name stand jedoch nicht auf der Liste und ausserdem wusste er, dass er im Generalrat gebraucht wurde, was ihn sehr beruhigte. Vorerst.

Ein paar Monate später klopfte der Generalminister an Hinders Tür. Die Liste mit den Vorschlägen wurde abgelehnt, und so hatte er nun eine gute und eine schlechte Nachricht zu überbringen. Die gute war: Der Rat durfte erneut eine Liste mit drei Namen erstellen und selber darüber entscheiden. Die schlechte: Hinders Name müsse auf der Liste stehen. 

So kam es schliesslich, wie es kommen musste. Am 30. Januar 2004 wurde Paul Hinder zum Bischof von Arabien geweiht. Mehr als sechstausend Menschen kamen, um diese Messe und die Weihe mit ihm zu feiern. Das Bischofsamt war eigentlich nach wie vor nicht das, was er sich für sein Leben gewünscht hatte, aber er sah diese neue Aufgabe als seine Verpflichtung der Kirche gegenüber. «Dein Wille geschehe». 

 

DIE ARABISCHE HALBINSEL

Wenn man an die Arabische Halbinsel denkt, denkt man vielleicht an Wüste, Kamele und Gewürze. Vielleicht an die starke Religionsverbundenheit, den Islam, die Burkas und in diesem Zusammenhang auch die Auseinandersetzungen mit der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) und al-Qaida. Vielleicht auch an politische Probleme und Diskussionen, wie beispielsweise die Unterdrückung der Frau. – Die Länder der Arabischen Halbinsel kann man jedoch nicht einfach so in einen Topf werfen, denn die sechs Staaten Saudi-Arabien, Bahrain, Katar, Jemen, Oman und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) unterscheiden sich in vielen Dingen grundlegend. Während in Saudi-Arabien die Frauen stark unterdrückt werden und nicht einmal das Haus ohne die Erlaubnis des Mannes verlassen, geschweige denn selber Auto fahren dürfen, ist es in den VAE selbstverständlich, dass Frauen arbeiten. Und wenn man die Religion betrachtet, dominiert der sunnitische Islam. Neben den einheimischen Arabern gibt es aber sehr viele Migranten. In den Emiraten sind es über 85 Prozent. Viele von diesen Migranten sind Christen. Sie alle sind jung, viele sind männlich und schuften für ihre Familien daheim oder einfach nur in der Hoffnung auf eine bessere Perspektive. Eine Perspektive, die nur bedingt eine langfristige ist. Denn Weiterqualifizierung und damit Aufstiegschancen gibt es für die wenigsten von ihnen.

St. Michael’s Catholic Church in Sharjah, VAE

Obwohl Paul Hinder dieses Amt ursprünglich nicht wollte, ist er heute sehr froh darüber, damals an den Persischen Golf gerufen worden zu sein. Die Kirche in diesen Ländern dient auch als wichtiger Treffpunkt. Dort trifft man Seinesgleichen aus Pakistan, Bangladesch, Indien, Sri Lanka oder woher auch immer. Ausserdem ist der Glaube etwas, was sie kennen. Die Christliche Kirche ist auf der ganzen Welt mehr oder weniger gleich. Natürlich gibt es kleine Unterschiede, die Philippinen beispielsweise brauchen etwas zum Anfassen. So gibt es in der St. Michael’s Catholic Church in Sharjah in den Emiraten einen Raum mit vielen Statuen von Heiligen, die während dem Gebet angefasst werden dürfen. Eine Statue vom Heiligen Antonius von Padua findet man fast in jeder Kirche in den Emiraten. Paul Hinder meint dazu: «Er ist beliebt, denn er ist für alles gut.».

Heiliger Antonius Statue in Sharjah, VAE

 

VOLLE KIRCHEN

Das Hauptproblem in den Emiraten sind die vollen Kirchen. Gemäss Hinder haben über Ostern mehr als 50’000 Leute, alleine in Abu Dhabi, die Gottesdienste besucht. In der Karwoche seien die Gläubigen stundenlang Schlange gestanden um zu beichten. «Es ist, wie wenn man mit einem VW-Käfer 40 Personen transportieren müsste», meinte Hinder in einem Interview mit dem Tagesanzeiger. Der Massenandrang führt jeweils auch zu einem Chaos auf dem Parkplatz vor der Kirche. Nach dem indischen Gottesdienst rufen die Fahrer der Kleinbusse die Fahrgelegenheiten aus, während Mittelklasse-Limousinen hupend einen Parkplatz suchen, weil gleich die arabische Messe beginnt. 

Auch die Sprachenvielfalt stellt logistische Probleme für die Gemeinde. Quasi im Schichtbetrieb bieten sie Messen in Englisch, Malayalam (Indien), Urdu (Pakistan), Singhalesisch und Tamilisch (Sri Lanka), Tagalog (Philippinen), Französisch oder Arabisch an. Im gesamten Vikariat von Paul Hinder werden jährlich 2’200 Kinder und Erwachsene getauft, mehr als 2’000 Firmlinge werden gefirmt, die Zahl der Eheschliessungen lag im Jahr 2012 bei über 470 und in der Marienpfarrei in Dubai gehen wöchentlich mindestens 70’000 Gläubige zur Messe, in Abu Dhabi sind es um die 40’000 (Tendenz steigend).

Es beeindruckt den arabischen Bischof sehr, mit welcher Unkompliziertheit Religion in den arabischen Ländern praktiziert wird. Etwas von dieser Ungeniertheit, Religion öffentlich zu leben, würde er sich auch für Europa wünschen. Gegenüber der NZZ meinte er: «Es erfüllt mich manchmal mit Sorge, wie sehr sich Religion in Europa zurücknehmen muss. Religiosität ist zwar latent da, sobald sie sich aber explizit und öffentlich zum Ausdruck bringen möchte, leuchtet die rote Lampe.» Für ihn sei die Art, wie in den Emiraten Kirche gelebt wird, bereichernd und habe ihn gelehrt, viele Seiten der Bibel anders zu lesen. Wenn er sehe, mit wieviel Ernst diese einfachen Leute ihren Glauben leben, mache ihm das Freude. Einst meinte er zu Papst Franziskus, dass er die Katholizität in Abu Dhabi stärker erlebe als auf dem Petersplatz in Rom.

In seinem Buch zitiert Hinder einen Mitbruder, der sagt: «Mir wäre ein islamisches Europa lieber als ein religionsloses.». Diese Aussage liess auch den Bischof schlucken. Doch er gibt ihm Recht, dass ein muslimisches Europa besser wäre als eines, das seine religiösen Wurzeln verleugnet. Er gehe natürlich davon aus, dass das so nicht eintreffe und habe dabei ein bestimmtes Bild vom Islam im Kopf, das mit dem IS nichts zu tun habe.

St. Joseph’s Cathedral und Bischofsitz neben der Mary Mother of Jesus Moscheein Abu Dhabi.

 

SCHLAGZEILEN DES TERRORS

Paul Hinder wird oft gefragt, ob er sich denn in Arabien noch sicher fühle. In der westlichen Welt scheinen sich die Bilder des Grauens von Enthauptungen, Verstümmelungen und Erschiessungen stark festgesetzt zu haben. Die Normalität des alltäglichen Lebens, die es in vielen Teilen der arabischen Welt gibt, geraten jedoch aus dem Blick. Gewiss bedeute der Islamische Staat eine Bedrohung für die ganze Region und die Welt. Eine Bedrohung, vor der die Leute in diesen Regionen Angst haben. Es gibt aber innerarabisch und innerislamisch viele Kräfte, die sich dagegen auflehnen. Ob sie sich durchsetzen werden, müsse sich allerdings noch zeigen.

Das aktuell grösste Sorgenkind für Paul Hinder ist Jemen mit den kleinen Gemeinden in Sana’a, Taiz, Hodeidah und Aden. Die politische Instabilität und das daraus resultierende Sicherheitsrisiko machen das Leben für alle schwierig. Seit 2015 herrscht Krieg im Land. Bald nach Kriegsbeginn wurden die drei Kirchen in der Hafenstadt Aden beschädigt und ausgeraubt. Ein paar Monate später legten bis heute nicht identifizierte Leute Feuer an die Kirche der heiligen Familie in Crater (Aden). In Malla (Aden) wurde die Kirche bereits im Mai 2015 beschossen und Ende Jahr wurde sie durch ein Sprengstoffattentat weiter beschädigt. 

Im letzten Jahr gab es einen Anschlag auf das Seniorenheim in Aden, das die Missionarinnen der Nächstenliebe (Ordensschwestern von Mutter Theresa) neben ihrem Kloster betrieben. Diese Schwestern verliessen ihre Heimat in Indien und Afrika, um den Armen zu dienen, den Alten, den Behinderten. Sie arbeiteten mit Freiwilligen im Pflegeheim, kümmerten sich um 60 bis 80 Patienten aller Religionen.

Am 4. März 2016 wurde das Kloster von zwei bewaffneten Männern angegriffen. Sie ermordeten vier Schwestern zusammen mit 16 freiwilligen Helfern aus Äthiopien und dem Jemen. Die Opfer wurden mit Handschellen gefesselt und in den Kopf geschossen. Heimbewohner wurden gemäss Berichten keine verletzt. Der aus Indien stammende Pater Tom Uzhunnalil wurde ab diesem Tag vermisst. Einige Wochen nach dem Anschlag hiess es, er sei am Karfreitag eventuell vom IS gekreuzigt worden. Meldungen über eine angebliche Hinrichtung durch Islamisten konnte der Bischof jedoch nicht bestätigen. Er bemühte sich intensiv, Pater Tom zu retten. Im April 2016 meinte er gegenüber dem Tagesanzeiger, er habe Grund zur Annahme, dass Pater Tom lebe und sich in den Händen der Entführer befinde. Ob es sich bei diesen um Angehörige des IS oder von al-Qaida handle, wisse er nicht. Erst vor kurzem, also mehr als ein Jahr später, am 12. September 2017 teilte die indische Aussenministerin mit, dass der entführte Pater Tom gerettet worden sei. 

Der Anschlag auf das Heim in Aden schockierte den Bischof und es setzte ihm zu, dass er nichts oder nur sehr wenig ausrichten konnte. Er wusste, dass die Situation im Jemen gefährlich war, die Schwestern ebenso. Ein Jahr vor dem Anschlag war die Lage so kritisch, dass sie das Land eigentlich hätten verlassen müssen. Sie aber teilten dem Bischof mit, dass sie bleiben wollten. Sie seien es gewohnt, in Kriegsgebieten zu arbeiten und wollten die Leute in Aden nicht im Stich lassen. Diesen Entscheid respektierte der Bischof. 

Etihad-Towers in Abu Dhabi

 

SAMEN DES GLAUBENS

Die Situation in den Golfstaaten bleibt schwierig für alle Beteiligten. Die Christliche Kirche ist eine Migrantenkirche. Der Glaube, der diese Menschen im fernen Arabien verbindet, ist stark. So schreibt Paul Hinder in seinem Buch «Die Ableger unserer Migrantenkirche, die Samenkörner, die hier ausgesät und vielleicht in andere Länder mitgenommen werden, können fruchtbar sein, so zumindest unsere Hoffnung. Hoffnung, die sich mit der Hunderttausender trifft, die hier nur arbeiten, weil sie keine andere Chance und nur die eine Hoffnung haben, die sie durchhalten lässt. Die Hoffnung, der Familie und den Angehörigen daheim ein besseres Leben zu finanzieren. Die Hoffnung schliesslich, irgendwann zurückkehren zu können in die Heimat und nicht nur die Etihad Towers oder den Burj Khalifa hinter sich zu lassen, sondern auch das Leben als Migrant oder Flüchtling.».

Die vergangenen 14 Jahre, die Paul Hinder als Bischof am Persischen Golf tätig war, haben sein Leben verändert. Viele Dinge sieht er jetzt anders als zuvor. Ich denke, dass wir alle einiges von den Migranten im arabischen Raum lernen können, besonders was die Stärke der Gemeinschaft angeht.

Paul Hinder ist mittlerweile 75 Jahre alt und hat dem Papst gemäss dem kanonischen Recht seinen Amtsverzicht angeboten. Ob und wann dieser angenommen wird, steht in der freien Entscheidung des Papstes. Es könne sein, dass er noch einige Zeit über das kanonische Bischofsalter hinaus weiterwirken müsse.

Nadine Hinder
MMP 17c1 | 20. Dez. 2017

Familie Hinder zu Besuch bei (Gross-) Onkel Bischof Paul Hinder in Abu Dhabi.

 

 

QUELLENVERZEICHNIS

Eigenrecherche
Briefe von Paul Hinder

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